Die Schweizer Medizintechnikindustrie ist robust und bedeutend für die Schweizer Volkswirtschaft. Die Branche schafft im Vergleich zu anderen Industriezweigen überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze. Mit einem Umsatzanstieg von über sechs Prozent in den letzten zwei Jahren ist die Medtech-Branche doppelt so stark gewachsen wie das nominale Bruttoinlandprodukt der Schweiz im gleichen Zeitraum. Die grössten Herausforderungen für die Branche sind die hohe Regulierungsdichte und der Kostendruck. In der Digitalisierung sieht die Medtech-Industrie eine ihrer grössten Chancen. Dies zeigt die jüngste der zweijährlich veröffentlichten Branchenstudie.
Die von Swiss Medtech und der Helbling Gruppe veröffentlichte Studie basiert auf einer Umfrage, an der über 470 in der Schweiz tätige Medtech-Unternehmen teilgenommen haben. Die Zahlen unterstreichen die wirtschaftliche Bedeutung der Medizintechnikindustrie. In den letzten zehn Jahren schuf die Medtech-Branche rund 20’000 neue Arbeitsstellen in der Schweiz, 4’200 allein in den vergangenen zwei. 2023 beschäftigte die Branche hierzulande rund 71’700 Personen, davon 40 Prozent Frauen. Mehr als jede hundertste Arbeitskraft in unserem Land ist in der Medizintechnik tätig. Ausser Irland hat kein anderes Land Europas mehr Medtech-Beschäftigte pro Kopf der Bevölkerung vorzuweisen als die Schweiz.
Die Medtech-Branche ist stark KMU-geprägt. Von den rund 1’400 in der Schweiz ansässigen Medtech-Unternehmen beschäftigen 95 Prozent weniger als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Demgegenüber beschäftigen die fünf Prozent Grossunternehmen rund die Hälfte aller in der Schweizer Medtech-Branche tätigen Personen. Der Branchenumsatz wuchs von CHF 20.8 Mrd. im Jahr 2021 auf CHF 23.4 Mrd. im Jahr 2023 an und damit doppelt so stark wie das nominale Bruttoinlandprodukt der Schweiz im gleichen Zeitraum. Die Schweizer Medtech-Industrie erwirtschaftete 2023 einen Handelsbilanzüberschuss von CHF 5.8 Mrd. und trug damit beachtliche 11,9 Prozent zur positiven Handelsbilanz der Schweiz bei. Die Branche reinvestiert rund 12 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung.
«Die Schweiz besitzt ein einzigartiges Ökosystem mit grossen Unternehmen, zahlreichen KMUs, renommierten Hochschulen und innovativen Spin-offs, um das uns viele Länder beneiden. Dennoch ist der Erfolg der Schweizer Medtech-Branche nicht garantiert. Um ihre Position als einer der weltweit führenden Medtech-Standorte langfristig zu sichern, muss die Schweiz weiterhin an ihren Stärken arbeiten, Schwachstellen beseitigen und von der internationalen Konkurrenz lernen.», sagt Adrian Hunn, Direktor von Swiss Medtech.
Europäische Union unverändert wichtigste Handelspartnerin – neue Weltmärkte als Chance
Wichtigste Handelspartnerin ist unverändert die Europäische Union (EU). Rund die Hälfte der Schweizer Medtech-Exporte geht in die EU und rund die Hälfte der Importe stammt aus der EU. Von den EU-Mitgliedstaaten ist Deutschland der mit Abstand wichtigste Handelspartner der hiesigen Medtech-Industrie. Die USA sind unverändert das wichtigste einzelne Exportland und neu auch das wichtigste Importland für die Schweiz. China und weitere asiatische Wachstumsmärkte gewinnen an Bedeutung als Abnehmer von Schweizer Medizinprodukten. Dies zeigt sich nicht vollumfänglich in den steigenden Exportzahlen, weil die Produktion oft vor Ort angesiedelt wird, wie die Unternehmen berichten.
«Als Wirtschaftsverband einer exportstarken Branche setzen wir uns mit Priorität für möglichst hindernisfreie Marktzugänge ein. Es ist zentral, dass die Schweiz und die EU ihre Beziehungen mit den Bilateralen III wieder auf eine solide Basis stellen. Zudem ist es wichtig, dass die Schweiz neue Freihandelsabkommen abschliesst, so dass unsere Unternehmen ihr volles Potenzial auf den Weltmärkten entfalten können. Im Vordergrund stehen die USA und der Mercosur», sagt Damian Müller, Präsident von Swiss Medtech. «Neue Marktchancen sichern Arbeitsplätze in der Schweizer Exportindustrie über die gesamte Lieferkette. Der Heimmarkt ist viel zu klein, um dies leisten zu können.», so der Präsident.
Grösste Herausforderungen: Regulierungsdichte und Kostendruck
Die europäische Medizinprodukteregulierung (Medical Device Regulation, MDR) kommt in der Branche nicht gut weg. Sie ist bürokratisch, kostspielig und innovationshemmend. Dieses Ergebnis ist nicht neu, indessen konkreter als noch vor zwei Jahren. Zur Bewältigung der MDR haben 80 Prozent der Unternehmen zusätzliches Personal angestellt und 60 Prozent mussten dafür personelle Ressourcen aus dem Bereich Forschung und Entwicklung abzweigen. Die Hälfte der Unternehmen reduzierte ihr Produktportfolio um durchschnittlich 20 Prozent. Die Entwicklungskosten sind im Mittel um zirka 28 Prozent, die Produktkosten um etwa 13 Prozent und die Produktpreise um ungefähr 8 Prozent gestiegen. Wobei diese Steigerungen nicht ausschliesslich mit der MDR zu tun haben. Höhere Rohstoff-, Energie-, Transport- und Logistikkosten schlagen ebenfalls zu Buche.
FDA-zertifizierte Medizinprodukte: zugunsten der Patientenversorgung und Innovation
Europa bringt sich mit der bürokratischen MDR gegenüber den USA ins Hintertreffen. Bereits heute beantragen über 20 Prozent der Schweizer Unternehmen die Erstzulassung für ihre neusten Produkte nicht mehr in Europa, sondern in den USA. Über 30 Prozent zertifizieren ihre Produkte sowohl in Europa als auch in den USA, wobei der Prozess in Europa viel langwieriger ist, so dass die Innovationen der Schweizer Bevölkerung erst Jahre später zur Verfügung stehen. «Die Schweiz schaut dem zum Glück nicht tatenlos zu», sagt Damian Müller, Präsident von Swiss Medtech und spricht damit an, dass das Parlament den Bundesrat – basierend auf seiner Motion 20.3211 – bereits im November 2022 beauftragt hat, FDA-zertifizierte Medizinprodukte in der Schweiz zu erlauben. Dafür muss das nationale Recht angepasst werden. «Damit könnte die Patientenversorgung sichergestellt und der schnelle Zugang zu Innovationen gewährleistet werden. Zudem wäre die Schweiz mitten in Europa ein noch attraktiverer Medtech-Standort für international tätige Firmen als bisher.», ist Damian Müller überzeugt und plädiert für eine rasche und praxisnahe Umsetzung. «Die Behörden dürfen keinesfalls Hürden aufbauen, die dazu führen, dass der kleine Markt Schweiz nicht mit FDA-Produkten beliefert wird, sonst wird die Vorlage zum Papiertiger.», warnt der Swiss Medtech Präsident.
Grösste Chancen: Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI)
Die Medtech-Branche sieht die digitale Transformation als Chance. Die Digitalisierung verändert Art und Weise, wie Unternehmen innovieren, produzieren, verwalten und vermarkten. Für Adrian Hunn ist das nicht überraschend «Die Optimierung der Prozesse auf Effizienz gehört zu den Kernkompetenzen der Schweizer Medtech-Branche. Wir müssen eine Vorreiterrolle in der Digitalisierung und Anwendung von KI einnehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Medtech-Produktion im Hochpreisland Schweiz zu sichern.». Mit den Chancen der Digitalisierung gehen auch neue Herausforderungen einher. Die Unternehmen müssen in Sicherheitssysteme und Datenschutzmassnahmen investieren sowie rechtliche Fragen berücksichtigen.
Nachhaltigkeit wird hochrelevant für den Marktzugang
Nebst der digitalen Transformation der Branche ist jene hin zu mehr Nachhaltigkeit im Gange. Für die Medtech-Industrie ist Nachhaltigkeit zu einem hochrelevanten Marktzugangskriterium geworden. Zusätzlich zu den Regularien geben die Kunden und Investoren den Takt an. Sie verlangen zunehmend Daten zur Nachhaltigkeit, insbesondere zum Klimaschutz. Dies über die gesamte Lieferkette hinweg. Waren vor zwei Jahren 68 Prozent der Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit aktiv, sind es heute 74 Prozent. Der Trend geht in die richtige Richtung. «Wir sind daran, einen Branchenfahrplan zur Dekarbonisierung zu erarbeiten und unsere Mitglieder mit Weiterbildungsangeboten zu unterstützen. Im Fokus steht dabei die Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.», sagt Swiss Medtech Direktor Adrian Hunn. Die vorliegende Studie und weitere Umfragen von Swiss Medtech zeigen zudem, dass Nachhaltigkeit bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften eine immer wichtigere Rolle spielt.